Essen. Am 30. November fand im "Haus der Technik" in Essen ein Symposium statt, in dem auf zehn Jahre Grundsicherung für Arbeit­suchende („Hartz IV“) zurückgeblickt wurde und Perspektiven für die Zukunft diskutiert wurden. Der Präsident des Landessozialgerichts Joachim Nieding hatte zu einem hochkarätig besetzten Er­fahrungs- und Meinungsaustausch eingeladen. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Vizepräsidenten des Landessozialgerichts, Martin Löns und dem Vorsitzenden Richter am Landes­sozialgericht, Dr. Jens Blüggel.

NRW-Justizminister Thomas Kutschaty stellte in seinem Grußwort die Be­lastung der Sozialgerichtsbarkeit mit Streitver­fahren aus der Grundsich­erung für Arbeitsuchende dar. Er dankte für den Einsatz und das Engagement der Richterinnen und Richter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialgerichtsbarkeit bei der Be­wältigung dieser großen Aufgabe. Kutschaty betonte die Not­wendigkeit, durch einen aktivierenden Sozialstaat Armut und Langzeitar­beitslosigkeit zu vermeiden. Dies gelte aktuell auch insbesondere im Hinblick auf die Herausforderungen durch die Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen.

Richterin am Bundessozialgericht Nicola Behrend betonte in ihrem Ein­gangs­statement die Bedeutung der Recht­sprechung des Bundessozial­gerichts für die Klärung von Grundsatz­fragen und die Rechtsfortbildung im Bereich der Grundsicherung für Ar­beitsuchen­de. Nach Ein­schätzung des für die Grundsicherung für Arbeit­suchende zuständigen Referatsleiters aus dem Ministerium für Arbeit, Inte­gration und Soziales des Landes NRW, Dr. Hans Lühmann, haben auch die nahezu 70 Änderun­gen des Sozial­gesetzbuchs II (SGB II) zur Unüber­sichtlichkeit und schweren Hand­habbarkeit dieses Gesetzes beige­tragen. Im Schnitt sei das SGB II alle zwei Monate geändert worden. Be­dauerlich sei, dass „Hartz IV“ bei vielen Betroffenen nicht als Ausdruck eines aktivierenden Sozialstaats, sondern als eine Art Strafe angesehen werde. Der Vorstandsvorsitzende des Job­centers Wuppertal, Thomas Lenz, teilte mit, dass er sich zwar zum SGB II be­kenne, die mit diesem Gesetz verbun­denen Probleme allerdings deutlich sehe. In organisa­tori­scher Hinsicht ergeben sich nach seiner Ein­schätzung erheb­liche Probleme aus der gespaltenen Träger­schaft der Jobcenter. Die Mitar­bei­terinnen und Mitarbeiter müssten „Diener zweier Herren“ sein, teilweise gelte ein gespaltenes Tarifsystem mit unter­schiedlicher Bezahlung für die­selbe Arbeit. Er forderte eine eigen­ständige einheitliche Organisations­form der Jobcenter. Aus Sicht der Betroffenen referierte Rechtsanwalt Uwe Klerks aus Essen. Er kritisierte eine schlechte Erreichbarkeit der zuständi­gen Sach­bearbeiter, was wiederum zu zahl­reichen einstweiligen Rechts­schutzan­trägen und Untätigkeitsklagen führe. Insbesondere aus der Sicht von Familien, Alleinerziehenden und Schwangeren beleuchtete Rechts­anwältin Birgit Scheibe vom Caritas­verband für die Diözese Münster das Grundsi­cherungsrecht. Nach ihrer Meinung durchdringt kein anderes Gesetz die Lebensverhältnisse der Betroffenen so sehr, wie das SGB II. Beispielsweise könne die Bejahung einer sogenannten „Einstehens- und Verantwortungsge­meinschaft“ von Partnern erhebliche Auswirkungen auf das Zusammen­leben von Eltern und Kindern haben. „Hartz IV“ verhindere Armut nicht. 

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion vertieften Referenten und Teilnehmer die Problematik. Einigkeit bestand in der Einschätzung, dass das geplante nächste Änderungsgesetz keine grund­legenden Verbesserungen in der An­wendung dieser äußerst komplexen Materie erwarten lässt. „Hartz IV“ bleibe eine Herausforderung, auch für die Sozialgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen