Essen, 29.11.2013

„Hartz IV“ – Anspruch auch für EU-Bürger aus Rumänien

Landessozialgericht: Ausnahmsloser Leistungsausschluss für arbeitsuchende EU-Bürger europarechtswidrig

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat erneut in einem Berufungsverfahren über den Anspruch rumänischer Staatsangehöriger auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“) entschieden.

Die Kläger, eine rumänisches Familie mit einem Kind, wohnen seit 2009 in Gelsenkirchen und lebten zunächst von dem Erlös aus dem Verkauf von Obdachlosenzeitschriften und von Kindergeld. Das beklagte Jobcenter lehnte den im November 2010 gestellten Antrag mit der Begründung ab, Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, könnten keine Grundsicherungsleistungen erhalten. Diesen im Gesetz enthaltenen Leistungsausschluss (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch II) sieht der 6. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Martin Löns als europarechtswidrig an. Das Gericht hat das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen aufgehoben und die beantragten Leistungen zuerkannt. Es ist – insofern noch weitergehend als frühere Entscheidungen anderer Senate des Landessozialgerichts – der Auffassung, der Leistungsausschluss in dieser ausnahmslosen Automatik widerspreche dem zwischen den EU-Staaten vereinbarten gesetzlich wirksamen Gleichbehandlungsgebot (Art. 4 Verordnung EU 883/2004). Soweit die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2004/38) den Mitgliedstaaten erlaube, einschränkende Regelungen zur Vermeidung von sogenanntem Sozialtourismus vorzusehen, sei dies nicht in dieser im Sozialgesetzbuch II enthaltenen unbedingten und umfassenden Form möglich. Die Richtlinie verlange eine bestimmte Solidarität des aufnehmenden Staates Deutschland mit den anderen Mitgliedstaaten. Das erfordere unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit Regelungen, wonach abhängig von den individuellen Umständen Leistungen im Einzelfall jedenfalls ausnahmsweise möglich sein müssen. In dieser Auffassung sieht sich der Senat durch die neueste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestätigt (EuGH Urteil vom 19.09.2013 C-140/12).

Wegen dieser Grundsatzfragen, die nicht nur die neuen Unionsbürger aus Rumänien und Bulgarien, sondern im Grundsatz alle EU-Bürger betreffen, hat der Senat die Revision zugelassen. (Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13).