Essen. "Mit einem gewissen Stolz auf alle Angehörigen der Sozialgerichts-barkeit darf ich sagen, dass wir diese andauernde Bewährungsprobe bislang gut bewältigt haben.", so Martin Löns, Präsident des Landessozialgerichts, in seinem heutigen Jahrespressegespräch zur Corona-Pandemie, die das vergangene Jahr auch in der Sozialgerichtsbarkeit geprägt hat. Gemeinsam wurden an allen Gerichten flexible und kreative Lösungen zum Gesundheitsschutz gefunden, um den Dienstbetrieb im Sinne der Rechtsuchenden so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Dabei hat der Prozess der Digitalisierung einen erfreulich kräftigen Schub erfahren. So gelang es trotz der erschwerten Arbeitsbedingungen im Sitzungsdienst, dass sich wie im Vorjahr Eingänge und Erledigungen annähernd die Waage hielten.

Ist die Pandemie im Gerichtsalltag allgegenwärtig, ist sie bisher weder inhaltlich noch zahlenmäßig bei den Sozialgerichten richtig angekommen. Streitfälle um Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld I und II (Grundsicherung für Arbeitsuchende), aber auch  um Leistungen der Unfall- und Rentenversicherung stehen jedoch schon in der Warteschleife.

Die historisch hohen - den in den Vorjahresberichten beschriebenen Klagewellen zigtausender Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen geschuldeten - Bestände von mehr als 100.000 Verfahren konnten unter den Pandemiebedingungen nicht weiter abgebaut werden. Die Abrechnungsstreitigkeiten nehmen aber weiter zu. Ein Auftrag an den Gesetzgeber, für eine grundsätzlich außergerichtliche Klärung der Abrechnungen zu sorgen, so Löns. Die hunderten von Millionen Euro an Gerichts-, Anwalts- und Sachverständigenkosten, die die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung aufwenden müssen, um vor den Sozialgerichten die Höhe des Entgeltes zu klären, das die Krankenkasse in einem Behandlungsfall an das Krankenhaus zu zahlen hat, könnten dann in der gesetzlichen Krankenversicherung wieder für die Versicherten verwendet werden. Personal in der Justiz könnte anders eingesetzt werden – allein in NRW wären dies etwa 80 Angehörige im richterlichen und nichtrichterlichen Dienst.

Deutlich wurde Löns auch in seiner Kritik an der derzeitigen ministeriellen Personalpolitik. Erst die Besetzung der Präsidentenstelle, nachdem sein Amtsvorgänger Joachim Nieding im Februar 2017 aus dem Amt geschieden war, dann die Nachbesetzung seiner eigenen seit Mai 2019 freien Stelle als Stellvertreter: seit 50 Monaten ist jeweils eine der beiden Spitzenpositionen nicht besetzt. Schon seinerzeit sei dem Ministerium im streitigen Besetzungsverfahren vom Verwaltungsgericht "langfristige Untätigkeit" bescheinigt worden.  Löns: "Der Gerichtsbarkeit über mehr als vier Jahre eine derartige Personallücke in der Gerichtsleitung zuzumuten, ist unverantwortlich. Dies verletzt das dem Grundgesetz zugrundeliegende Prinzip, dass die drei Gewalten des Staates einander zu fördern und die jeweilige Arbeitsfähigkeit bestmöglich sicherzustellen haben." Der Sozialgerichtsbarkeit werden so nicht nur personelle Ressourcen in der Leitung des Landessozialgerichts als für die acht Sozialgerichte des Landes verantwortliche Mittelbehörde vorenthalten. Sie fehlen zudem in der Rechtsprechung, denn Präsident und Vizepräsident/in leiten auch jeweils einen der 21 Fachsenate des Landessozialgerichts.